Raimundo Viejo Viñas

Profesor, autor, traductor, editor, ciudadano activo y mucho más.

Sep

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[ de ] »Spaniens Medien personalisieren die Krise«


In Madrid wird die deutsche Kanzlerin mit »Merkel go home« begrüßt


Ein Gespräch mit Carmela Negrete für Junge Welt (05.09.2012)



Raimundo Viejo Viñas ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Pompeu i Fabra in Barcelona. Er studierte in Frankfurt am Main und Berlin Für den 6. September haben die Bewegung der »Empörten« und andere Organisationen zu einer Demonstration unter dem Motto »Merkel go home« aufgerufen. Woher kommt diese negative Stimmung gegen BRD-Politiker? 

Ich glaube, in Spanien wird diese Stimmung durch die Massenmedien geschürt. Sie versuchen, den sozialen Konflikt auf die nationale Ebene zu verschieben. Sie bemühen sich, die politische Krise zu personalisieren, die sehr viel größere Dimensionen hat, die Verantwortung dafür auf Merkel oder Deutschland zu schieben. Auch in Spanien weiß man, daß es Minijobs gibt und daß die rechte Regierung die eigene Bevölkerung ausquetscht. Es stimmt auch, daß Deutschland seinen Nutzen aus einem Europamodell gezogen hat, das Folgen für den Süden des Kontinents hatte und das verändert werden muß. 


Ich glaube aber, daß in Spa­nien Unwissenheit über Deutschland herrscht. Wir, die wir in Deutschland studiert haben und die deutsche Politik kennen, wissen, daß es in Spanien eine sehr vereinfachende Sichtweise gibt, die dem dortigen Nationalismus dient. Demgegenüber ist mehr Europäismus nötig. 

Hintergrund von Merkels Besuch sind die Finanzprobleme und die Kapitalspritzen der EZB für die spanischen Banken. Die wirtschaftlichen Themen überlagern alles. Wurden in Europa die sozialen Ziele vergessen? 

In den vergangenen 30 Jahren haben wir den neoliberalen Umbau Europas erlebt. Als zum Beispiel der Bologna-Plan für die Hochschulen verabschiedet wurde, mußten diejenigen Länder verlieren, die keine wettbewerbsfähigen Universitäten hatten. Europas Norden wird bei der Wissensproduktion sehr bevorzugt, der Süden wird zu einer Tourismuskolonie des Nordens. 

In der EU sind wirtschaftliche Instrumente geschaffen worden, aber nicht die politischen Instrumente, um diese zu kontrollieren. Das führt zu Problemen für die Demokratie und die Bürger. Europa wird sich jedoch nicht aus dem guten Willen seiner Eliten heraus reformieren. Wenn wir einen konstituierenden Prozeß wollen, ist klar, daß der von unten kommen muß.
 

Meinen Sie mit »konstituierendem Prozeß« eine neue europäische Charta? Für den 25. September ruft die Bewegung 15-M dazu auf, das Parlament in Madrid zu umstellen und dort zu kampieren, bis die Regierung zurücktritt und ein Prozeß beginnt, aus dem eine neue Verfassung entstehen soll. 

Seit 2008 gibt es Proteste in Griechenland, in Spanien seit dem 15. Mai 2011, und auch in Portugal existiert Widerstand. Anderswo gab es punktuelle Aktionen, aber daraus ist kein einheitlicher Prozeß entstanden. Das läßt sich einfach erklären: Die Nationalstaaten haben noch sehr viel Gewicht. 

Wir benutzen das Wort »Verfassung« häufig entsprechend der politischen Theorie der Moderne, die heute aber so nicht mehr verwendbar ist. Bei der Aktion am 25. September geht es nicht darum, daß ein paar Leute das Winterpalais (dessen Besetzung in Petrograd 1917 war Teil der Oktoberrevolution, jW) stürmen, eine Republik ausrufen, eine Verfassung schreiben und so ein neues politisches Regime begründen. Das wird es nicht geben – es kommt nicht einmal den Aufrufern in den Sinn. Wenn wir von einem verfassungspolitischen Bruch reden, sprechen wir von einem Prozeß, der bereits im Gang ist und der begann, als die Bewegung 15-M erklärte: »Sie vertreten uns nicht«. 

Daneben gibt es die klassischen Arbeitskämpfe, zum Beispiel die Kampagnen der SAT, der Andalusischen Arbeitergewerkschaft. Deren Besetzungen sind keine neuen Aktionsformen, sorgen aber dafür, daß sie in den Medien präsent sind… 

Aber nur in Andalusien. Sie stoßen auf viel Medienecho, weil Alternativen und Perspektiven fehlen. Das führt dazu, daß die Bedeutung einiger Aktionen überbewertet wird. Es ist einfach, ein Projekt von der Art des kommunistischen andalusischen Dorfes Marinaleda mit wenigen tausend Einwohnern und einer fast homogenen Zusammensetzung verwirklichen – fast alle sind Landarbeiter! Aber wie könnte man etwas ähnliches in einer Metropole wie Madrid realisieren?